Hallo Europa! (Melbourne 9.5.2002, 17.45 Uhr) Es ist Nacht hier in Melbourne, denn unweigerlich geht es fuer uns in Richtung Winter und das bedeutet, dass die Nacht bereits um 17 Uhr daemmert. Eigentlich wie im November in Europa, mit dem Unterschied, dass die Temperaturen stets ueber 15 Grad liegen, bzw. die letzten Tage immer 25 Grad betrugen. Aber der heutige Tag war verregnet. Naja, tut auch mal gut. Zurueck zum 7. Wochenende, dem letzten im Monat April. Was wir samstags gemacht hatten, ist ja im letzten Bericht beschrieben, und der Sonntag wird nicht viele Zeilen in Anspruch nehmen. Auch an diesem Tag waren wir am Meer, genauer in St. Kilda, laut Reisefuehrer der sehenswerteste Stadtteil Melbournes am Meer, was aber von unserer Seite nicht bejaht werden kann. Man findet dort zwar ein Strassencafe nach dem anderen, aber das Flair gleicht doch etwas zu sehr einer italienischen Touristenhochburg an der Adria. Vielleicht das einzig sehenswerte: Der Luna-Vergnuegunspark, ein Areal, auf dem sich diverse Fahrtgeschaefte befinden, von denen besonders die Scenic Rail, eine Bahn, die auf und ab den ganzen, von der Groesse her doch kleinen Park, umrundet und von der man einen wunderschoenen Blick auf die City und die Port Philip Bucht hat, zu empfehlen ist. Eva und ich haetten St. Kilda gar nicht angeschaut, wenn nicht die Tochter meiner Tante, Christina, mit ihren zwei kleinen Soehnen zu Besuch gewesen waeren. Auf deren Programm stand dieser Park und wir nahmen die Gelegenheit gerne an, meine Tante Christa, ihren Partner Karl, sowie Christina mit Alexander und Michael so mal wieder zu sehen. Der anschliessende Spaziergang am Strand ist auf der anderne Seite aber doch zu empfehlen, denn man hat einen schoenen Blick auf die Skyline. Wenn man aber wenig Zeit hat, die Straende Melbournes zu erkunden, so koennen wir waermstens Williamstown und v.a. die Mornington Pensinsula empfehlen, die wir letztes Wochenende, also unserem 8. und dem 1. Maiwochende besichtigt haben. Diese Halbinsel bildet das suedliche Ende der Port Philip Bucht und sie legt sich wie ein Arm schuetzend um sie, wobei dessen Fingerspitze - diese hat auch den Namen "Tip" - zusammen mit dem gegenueberliegenden Ufer die Meerenge bildet, auf der man vom offenen Meer in die Bucht faehrt. Man ist also auf dieser Halbinsel auf beiden Seiten von Wasser umgeben, der ruhigen noerdlichen Buchtseite und der dagegen sehr stuermischen Meerseite im Sueden. Da alle Schiffe auf dem Weg zum Hafen Melbourne diese Fingerspitze der Peninsula passieren muessen, hat diese eine enorme militaerische Bedeutung. So befinden sich dort mehrere militaerische Anlagen, die jedoch nicht mehr im Betrieb sind, sondern aus der Zeit der beiden Weltkriege stammen. Man hat also neben dem atemberaubenden Naturerlebnis gleichzeitig einen Einblick in die Geschichte der Stadt Melbournes und deren Rolle in den beiden Weltkriegen. Der Ursprung der Forts liegt in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als das britische Empire sich immer mehr gezwungen sah, Melbourne von der Meeresseite her zu schuetzen. Wieso? Zu dieser Zeit wurde in der Umgebung Melbournes Gold gefunden und die Stadt anvancierte sich zu einem Juwel des Empires. So sicherte man die Meerenge mit einer Anlage aus zwei Forts und mehreren Kanonenstuetzpunkte, deren Ziel es war, feindliche Schiffe schon bereits auf dem Meer Einhalt zu gebieten, bzw. nach einem Durchbruch durch die Enge noch mindestens in einer Reichweite von 9 km erreichen zu koennen. Dem entsprechend grosskaliebrig sind die Kanonen auch, die man dort noch sehen kann. Zu Melbournes Glueck wagte kein feindliches Schiff, Melbourne zu erobern, so dass fast nie ein Schuss abgegeben werden musste. Die einzigen beiden Schuesse aber, die gefeuert wurden, erlangten dafuer einen einmaligen Stellenwert in der Geschichte des 1. und 2. Weltkrieges, denn beide Schuesse sind jeweils die ersten, die in beiden Kriegen von den Alliierten abgegeben wurden! Ja, Melbourne hat im 1. und 2. Weltkrieg als erste Stadt das Feuer auf die Achsenmaechte eroeffnet. Der 1. Schuss im 2. Weltkrieg ist gleich berichtet, denn es war ein Warnschuss auf ein sich naeherendes Schiff, das verschlafen hatte, sich zu identifizieren und das sich spaeter als tasmanischer Frachter zu erkennen gab. Der 1. Schuss im 1. Weltkieg jedoch hat eine viel spannendere Geschichte: Der deutsche Frachter "Pfalz" ankerte seit ein paar Tagen im Hafen von Melbourne. Am 5. August 1914 stach er in See, um seine Kohlefracht nach Sydney zu verschiffen. Zu dem Zeitpunkt des Aufbruchs hatte England Deutschland noch nicht den Krieg erklaert, aber just in dem Moment, als das Schiff im Begriffe war, die Meerenge der Bucht anzusteuern, bekam die Melbourner Stadtregierung ueber Telegraf die Meldung der Kriegserklaerung Englands an Deutschland. Die Ereignisse ueberstuerzten sich. Den Frachter konnte man nur noch ueber Flaggenzeichen erreichen. Eine Antwort darauf seitens der deutschen Crew blieb aus. Was tun? Vor dem Ablegen hatte man ja noch im freundlichen Geiste in den Hafentavernen beisammengesessen und innerhalb weniger Minuten war die gesamte deutsche Mannschaft ein Kriegsgegner. Man entschloss sich, einen Warnschuss auf den Frachter abzugeben, nicht wissend, wie der Kapitaen der "Pfalz" reagieren wuerde. Wer kann schon erwarten, dass er versteht, um was es geht. Der Warnschuss, der erste Schuss, der ueberhaupt von den Festungsanlagen abgeschossen wurde - dementsprechend nervoes muessen die australischen Soldaten gewesen sein - verfehlte seine Wirkung zunaechst. Die "Pfalz" hielt Kurs aufs offene Meer. Der 2. Schuss wuerde ein Treffer werden, da waren sich die Militaers auf der Halbinsel sicher. Sie befahlen ihn, nicht wissend, das dies die ersten Opfer im 1. Weltkrieg bedeuten wuerde. Aber gerade, als die Kanonen nachgeladen wurde, drehte der Frachte bei, die Mannschaft ergab sich und wurde als Kriegsgefangene in Australien bis zum Kriegsende festgehalten. (Irrsinn, oder!? Da ist man am anderen Ende der Welt, in Europa schlagen sich die Politiker mal wieder die Koepfe ein, bzw. lassen die Koepfe anderer einschlagen, man denkt, man ist weit vom Geschehen entfernt, v.a. hat man sich ja keines Angriffes schuldig gemacht, sondern hilft den Australiern bei der Kohleverschiffung und im Handumdrehen befindet man sich in einer 4-jaehrigen Kriegsgefangenschaft. Da versteht man die Sinnlosigkeit eines Krieges nur zu gut!) Der Frachter, das als kleine Abschlussbemerkung dieser Geschichte, wurde von den Australiern beschlagnahmt und zum Verschiffen der australischen Truppe nach Aegypten eingesetzt. Ja, diese Halbinsel ist voller Geschichten, denn bevor das Militaer sich auf der Insel breit machte, bzw. auch waehrend und danach, diente sie als Quarantaenestation fuer Immigranten aus Uebersee. Durch Zufall wurde diese Station eingerichtet, denn einst brach auf einem Segler, der aus Europa Australien ansteuerte, mitten auf dem Ozean eine Typhusseuche aus. Von den nahezu 350 Passagieren starben 100 bereits auf offener See. Die Ueberlebenden wurden auf der Peninsula in Quarantaene genommen. Nur wenige widerstanden die Seuche. Die Toten wurden auf der Halbinsel begraben. Den Friedhof kann man heute noch besichtigen, mit interessanten Inschriften auf den Grabtafeln. Die Quarantaenestation liess man bestehen und auch die Soldaten, die in den Weltkriegen in Uebersee im Einsatz waren, musste dort einige Tage, nur ein paar Kilometer von ihren Liebsten entfernt, ausharren. Weiter findet man in einer sehr interessanten Broschuere, die ueber das Leben in dieser Station erzaehlt, eine Bericht aus dem Jahre 1945, der besagt, dass Auswanderer aus Polen, v.a. juedischen Glaubens, nach ihrer Ankunft vom Grauen erfasst wurden, denn zu einer der ersten Prozeduren in der Station gehoerte es, dass man sich nackt entlkeidete und zum Desinfizieren in Massenduschen gefuehrt wurde. Viele weigerten sich und es soll dramatische Szenen gegeben haben. Nur allzu verstaendlich. Der Fiedhof der Quarantaenstation, der am Anfang des halbtaegigen Rundganges, der durch die westliche Fingerspitze der Halbinsel fuehrt, enthaelt noch weitere Graeber die den Opfern des Dampfers "Cheviot" gehoeren, der in einer Sturmnacht Ende des 19. Jahrhunderts auf der Buchtseite auf die Klippen aufschlug, als ihm beim Ansteuern der Meerenge ungluecklicherweise das Ruder brach. Hilflos mussten die Bewohner der Halbinsel mit ansehen, wie der Dampfer nur ein wenig vom Ufer entfernt auseinanderbrach und ueber die Haelfte der Passagiere elendigst ertrank, wenn sie nicht vorher schon an den scharfen Klippen zerschlagen wurden. Das untergegangene Wrack kann heute noch von Sporttauchern besichtigt werden. Der Strand, an dem das Unglueck geschah, hat seitdem den Namen Cheviot Beach und gehoert laut einer neuesten Untersuchung eines Wissenschaftlers, der alle Straende Victorias erforscht hat, zu den den gefaehrlichsten des Staates. Diese Beruechtigtheit konnte der Strand auch 1967 unter Beweis stellen, als das vielleicht ungeheuerlichste und misterioeseste Unglueck in Australien nach dem 2. Weltkrieg an genau dieser Stelle ereignete. Harold Holt, 1966 zum Premierminister Australiens gewaehlt, liebte es zur Entspannung den Ozean aufzusuchen. Er war begeisterter Sporttaucher, jedoch keiner, der sich mit schwerem Geraet in die Fluten wagte, sondern, ganz australischer Sportsmann, nur mit Schnorchel die Tiefen der Tasmanischen See ertauchte; ja er tauchte einige Minuten ohne Luft zu benoetigen, wie ich momentan in einem Bericht ueber das sich dort ereignete Unglueck nachlesen kann, den ich zufaelligerweise in einem Haufen von ausgesonderten Buecher der staedtischen Bibliothek gefunden und fuer 25 Eurocent erstanden habe, direkt am Montag nach dem Besuch der Halbinsel. (Ein magischer Zufall??!!) Harold Holt tauchte am 17. Dezember abends am Cheviot Beach und wurde seitdem nie mehr wieder gesehen. Er wurde nicht aufgefunden, keine Leiche, kein sonstiger Hinweis; einfach verschwunden. Ein Schock fuer den Konitent und ein Raetsel, das bis heute nicht geloest werden konnte. Unheimlich! Mal sehen, zu welchem Ergebnis der Bericht kommt! So viele Geschichten, so viel spannende Geschichte, so viel zum Lesen und ich habe noch gar nicht von der Naturschoenheit dieses Ortes berichtet, von dem supertollen Strand, an dem man waehrend des Rundeweges entlangwandert, einfach sagenhaft: weisser feiner Sand, angenehm kuehles Meerwasser zwischen den Zehen, zur linken Hand eine 4-meterhohe Sandduene (Naturschutzgebiet), salzighaltige Luft, waermende Sonne und niemand sonst unterwegs. Oder des Ende der Halbinsel, an der sich die Wasser des Ozeans mit denen der Bucht in einem Naturschauspiel verbinden. Als wir diese Stelle aufsuchten war gerade Flut und das Wasser draengte mit Gewalt in die Bucht. Ach ja, zu dieser Stelle faellt mir noch die (wirklich!)letzte Geschichte der Mornington Peninsula ein: Es befindet sich dort eine Ruine, ein kleines Betonhaeuschen, in dem sich einmal eine Infrarotlichtanlage befunden hat, die zusammen mit einer Anlage auf der anderen Seite eine Infrarotsperre zur Nachtzeit quer ueber die Meerenge aufgebaut hat, um feindliche U-Boote aufzuspueren, die versuchen sollten, nachts an der Oberflaeche in die Bucht zu dringen - fuer einen Tauchgang ist die Tiefe des Wassers zu gering! Die Anlage war nur kurz in Betrieb, denn vor lauter Fehlalarmen war in den Forts nicht mehr an Schlaf zu denken. Die Techniker der Anlage hatten nicht mit der Unzahl von Seevoegeln gerechnet, die sich dort nachtaktiv auf Nahrungssuche begeben und deshalb dicht ueber der Meeresoberflaeche fliegen. Ja, es war ein tolles Wochenende, und wir freuen uns schon auf den naechsten Ausflug uebermorgen, der uns in die Macedon Ranges fuehren wird. Zum Abschluss noch unsere neueste Entdeckung in der Stadtmitte: Ein Hare Krishna Restaurant. Man bekommt dort taeglich (bis auf Sonntag) eine vegetarische Mahlzeit mit Nachspeise fuer 2.5 Euro und es schmeckt prima!! Also dann! Machts gut und, wie immer: See You! Robert