Ein Schlitten für Müslüm

Seit Tagen hatte es geschneit und der Schnee reichte zum Schlittenfahren auf dem Schlittenberg hinten bei der Fuggerstraße. So ging ich mit Florian, der damals 4 Jahre alt war, jeden Tag nach dem Mittagessen zu diesem kleinen Bergerl. Seinerzeit, als die Wohnblöcke gebaut wurden, hatte man hier bewußt Aushuberde liegen gelassen, ein wenig planiert und zurechtgerückt und schon war ein kleines Kinderparadies entstanden, im Frühjahr und Sommer zum Herumspringen und Auf- und Abrennen und im Winter zum Schlitten- und Schifahren.

Jeder unserer Buben besaß einen eigenen Schlitten, Florian gehörte der kleinste davon. Voller Begeisterung fuhr er bergab über kleine, von ande-ren Kindern gebaute Holperer und es war ihm ganz recht, wenn er dabei gebeutelt und geschüttelt wurde. Beim Heraufziehen half ich ihm jedesmal und die übrige Zeit bin ich auf dem Schneebuckel hin- und hergegangen und habe das Getümmel, insbesondere natürlich Florian, beobachtet. Dabei fiel mir ein schmächtiges, schwarzhaariges Büblein auf, das ein dünnes Mäntelchen und gelbe Gummistiefel anhatte und vor Kälte zitterte. Es hatte keinen Schlitten und schaute sehnsüchtig den Kindern zu, die, warm eingepackt in ihre Schneeanzüge, mit ihren Holz- und Plastikschlitten das Schlittenbergl hinuntersausten. Ab und zu durfte der Kleine bei einem Schlittenfahrer aufsitzen, aber das geschah nicht oft. Florian wollte auch lieber allein fahren und den Fremden nicht als Beifahrer dabei haben.

Ich fing ein Gespräch mit dem Buben an und erfuhr dabei, daß er Türke sei, Müslüm heiße und viele Geschwister habe. Da fiel mir ein, daß in unserem Keller daheim schon längere Zeit ein Schlitten stand, den keines von unseren Kindern benützte. Tante Ria hatte ihn wahrscheinlich einmal vor der Sperrmüllabfuhr gerettet und uns gebracht. Er war alt, aber noch in Ordnung. Ich versuchte, Müslüm zu erklären, daß ich ihm einen Schlitten schenken wolle, er müsse aber mit mir gehen und ihn in Empfang nehmen. Der Bub schaute mich zuerst ungläubig an, ging aber nach einigem Zögern mit mir und Florian bis zu unserem Haus. Ich holte den Schlitten aus dem Keller, packte noch ein paar Kindersachen drauf, die ich sowieso verschenken wollte und gab Müslüm die Schlittenschnur in die Hand. Mit großen dunklen Augen sah er mich an, sagte kein Wort und lief mit seinem Gefährt so schnell er konnte in Richtung Schlittenberg davon. Vielleicht hatte er Angst, ich könnte es mir noch mal anders überlegen.

Einige Zeit danach sah ich Müslüm an einem Sonntag in der Piuskirche. Ich erkannte ihn sofort an seinem Mäntelchen und den gelben Gummistiefeln. Er war genauso angezogen wie damals auf dem Schlittenberg. Auch er hatte mich erkannt, dessen bin ich sicher, denn als unsere Blicke sich trafen, zog eine feine Röte über sein blasses Kindergesicht.